Feiertage in England – Das Phänomen ‘Bank holiday weekend‘

Wenn man als Deutscher an Feiertage denkt, dann kommen einem zunächst christliche Feiertage wie Gründonnerstag, Fronleichnam oder Allerheiligen in den Sinn. 
Die arbeitende Bevölkerung hofft natürlich vor allem auf Feiertage unter der Woche, so dass wenn möglich ein Brückentag zum verlängerten Wochenende verhelfen kann. Ein Feiertag in Deutschland ist eine ruhige Angelegenheit, vergleichbar mit einem entspannten Sonntag. Die Läden sind geschlossen und, je nach Anlass, auch mancher Club, worüber sich vor allem junge Menschen ärgern. Die Ausnahme bildet natürlich der 1. Mai, an dem die Deutschen dann doch mal aus sich herauskommen, sich auf feuchtfröhliche Wanderungen begeben und sich ihrer Wurstkultur auf kleinen Grill – und Straßenfesten hingeben. Wie wunderbar! Ein Feiertag an dem so richtig gefeiert wird, verrückt!

In England sieht das ganze etwas anders aus. 
Hier werden die Feiertage, vor allem die einzeln im Jahr verteilten, ganz groß zelebriert – allerdings selten wegen ihres (christlichen) Hintergrundes. Denn ein Feiertag, ein bank holiday, führt mit wenigen Ausnahmen zu einem bank holiday weekend, also zu dem verlängerten Wochenende, das sich der Deutsche so sehr herbeisehnt. Wie das sein kann? Ganz einfach: Die meisten bank holidays werden auf den darauffolgenden Montag gelegt. Wenn also die Deutschen am Gründonnerstag frei haben, haben die Engländer erst am darauffolgenden Montag frei, am eigentlichen Feiertag selbst aber nicht. Daraus ergibt sich dann automatisch ein bank holiday weekend.

Eines haben unsere Nationen also gemeinsam: wir lieben lange Wochenenden. Aber: während der Deutsche sich brav mit Schweinebraten und Kuchen eindeckt, wird auf der Insel vor allem eines konsumiert – Alkohol in Strömen! 
Während die deutschen Innenstädte wie leergefegt sind, platzen die Pubs und Clubs hier aus allen Nähten. Nicht umsonst, wird dieses Phänomen auch ‚bank holiday drinking weekend‘ genannt. 

Wer schon einmal an einem normalen Samstag in einer englischen Stadt unterwegs war, der dürfte bereits Zeuge der vollbesetzen Pubs, der ausgelassenen Stimmung und der angetrunkenen Briten geworden sein. Für Ausländer ist das oft ein etwas befremdlicher und gleichzeitig beeindruckender Anblick. 
Was sich aber an einem verlängerten Wochenende abspielt, verschlägt mir bis heute die Sprache. Es ist jedes Mal einfach nur schockierend und faszinierend zugleich, wie diese Nation auf ein solches Wochenende hin fiebert und ab Freitagnachmittag die Party losgeht:

Es wird getrunken und gefeiert was das Zeug hält – und zwar nicht nur Freitag und Samstag, sondern natürlich auch noch am Sonntag – wozu sonst hat man einen freien Montag, wenn nicht um seinen bank holiday Kater auszukurieren?! 

Hier sieht man wirklich alles: Jedes Alter ab 25 Jahren aufwärts, Singles, Paare, grölende Männergruppen, hysterische Frauenrunden; sie allen ziehen durch die Stadt, sitzen in Pubs und Bars, trinken und feiern bis zum Umfallen. Das Einsammeln von leergetrunkenen Pint – und Cocktailgläsern scheint für das Pubpersonal zu einer kaum zu bewältigenden Aufgabe zu werden, wozu natürlich auch die vielen ‚2 for 1‘ Trink-Angebote beitragen. Es spielen sich Szenen ab, die man sonst nur in schlechten Reality-Shows erwartet – Berlin Tag & Nacht lässt grüßen! 
Je fortgeschrittener der Tag, desto lauter wird es, desto unsicherer werden die Schritte, desto absurder wird die Situation. Vor allem, wenn man bedenkt, dass sich dieses Schauspiel Samstag und Sonntag auf dieselbe Weise ereignet. Selbst nach mehr als einem Jahr auf dieser Insel kann ich dieses Phänomen nur schwer begreifen. Ich werde von so vielen ambivalenten Gefühlen gleichzeitig heimgesucht, die sich entweder nur durch mindestens zwei Cocktails ertragen lassen, oder durch konsequente Abwesenheit: Schock und Faszination, Fremdscham und Bewunderung, Unverständnis und Verstehen-Wollen, Kopfschütteln und Belustigung. 
Ja, zum einen bewundere ich diese Lebensfreude, die die Engländer so völlig unabhängig von ihrem Alter, an so einem langen Wochenende an den Tag legen; ich ziehe meinen Hut vor den High Heels Trägerinnen; ich staune über die Ausgelassenheit und das Durchhaltevermögen. Zum anderen bin ich aber auch einfach nur verwirrt über dieses krasse Gegenteil zur deutschen Feiertagskultur, die so ruhig und friedlich ist. Und überhaupt: Sonntag sind doch zum Nichtstun da. Mein deutsches Herz kommt wirklich nur schwer klar mit diesem Feiermarathon!

Solltet ihr also an einem Sonntag in einer englischen Stadt auf verdächtig viele beschwipste bis torkelnde Menschengruppen treffen, im Pub kaum einen freien Platz finden und ihr euch über offenkundig zur Schau gestellte nackte Haut wundern – dann, liebe Leser, ist höchstwahrscheinlich bank holiday weekend. In diesem Fall gibt es zwei Möglichkeiten: 

1. Stellt euch brav in die Schlange an der Bar an, nehmt das ‚2 for 1‘ Angebot dankbar an und kehrt am besten mit zwei Pints (pro Person, versteht sich!) zurück an einen klebrigen, mit Gläsern übersäten Tisch. Lehnt euch zurück und genießt die Show, aber starrt nicht zu auffällig!

2. Ergreift die Flucht und gönnt euch ein entspanntes Wochenende außerhalb der Innenstadt.

Ich persönlich bevorzuge mittlerweile die zweite Variante, da ich von Tom des schamlosen Starrens beschuldigt werde. An manche Anblicke gewöhnt man sich eben nie! 

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